UFK Benedikt Braun
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  nichts geht mehr | KEIN WEITER WEG

von Hjördis Hoffmann


NICHTS GEHT MEHR 2009

Auf der Idee des Wachsens fußt unsere westliche Gesellschaft seit geraumer Zeit, wenn nicht überhaupt seit jeher. Aber nicht nur im Bereich der Wirtschaft ist dieses Prinzip alltagsbestimmend, sondern, wenn man sich genau umschaut, eigentlich nahezu überall. Wann wird schon mal einer dafür geehrt, dass er etwas Normales tut? Etwas Beiläufiges? Aber nein, es geht nicht um diese Dinge, sondern um Wachstum, um das wachsen, das vermehren, das alles größer und vor allem mehr werde. Man stelle sich vor, dieser Wahnsinn mit dem Wachstum gehe weiter und weiter und weiter. Schneller, schöner, glorreicher, größer, höher. Eine Welt voller Superlative, mehr als alles, was jetzt machbar erscheint. Was wäre, wenn Wissenschaftler es hinbekommen würden, größere Menschen zu „erfinden“, weil – einmal ganz hypothetisch angenommen – diese wesentlich leistungsfähiger, robuster, arbeitsamer usw. wären. Aber ab welchem Zeitpunkt ist ein Wachsen nicht mehr möglich? Oder gibt es diese Grenze gar nicht und das Prinzip Wachstum wird bis in alle Ewigkeit so weitergehen?

Die Antwort von Benedikt Braun auf diese brisante Frage von immenser zeitgenössischer Wichtigkeit heisst: nein, oder sagen wir: nur bedingt ja.

Den Überlegungen des Wachsens in Richtung Unendlichkeit geht er mit einem ganz sinnbildlichen Gedanken auf die Schliche und persifliert so unseren alltäglichen Wahnsinn vom Wachstum auf eine ganz und gar anschauliche Art und Weise. Benedikt Braun, Künstler und Wissenschaftler in einem, hat die Formel gefunden. Eine Formel, welche besagt, wie groß ein Mensch (also in wissenschaftlich korrekten Kategorien die Spezies eines Zweibeiners) auf dem Planet Erde werden kann, um sich als weiterhin lebensfähig zu beweisen. Denn eine feste Größe gibt uns allen unsere Lebenswelt vor: die Schwerkraft. Die geht uns am Ende wohl alle was an, egal wie hoch wir hinaus wollen. Aber zurück zu dem Kunstwerk „Nichts geht mehr“ von Benedikt Braun. Eben ab dieser Größe X (ca. 12 m), wird es für das von ihm – mit Hilfe der Formel – imaginierte zweibeinige Wesen nicht mehr möglich sein, zu laufen. Denn der Kopf würde von der Schwerkraft ständig zu Boden gezogen werden und das arme Ding würde sich also ständig schwer verletzen. Laut Aussage des Künstlers würde es dadurch solch starken Verletzungen erliegen, dass es sich höchstwahrscheinlich nicht mehr fortpflanzen könnte. Aber zum Glück hat der Künstler die Lösung, welche das zukünftige Wesen benötigt. Und die ist so einfach, wie genial: Ein Paar Krücken. Graue, hässliche Krankenhauskrücken. Wie jeder wohl von seinem letzten Beinbruch schon weiß, sind diese selbst bei einer durchschnittlichen Körpergröße von 1,70 nicht gerade praktisch.

Aber anders hier: die von dem Künstler angefertigten Krücken entwickeln, wie sie da so schräg von der Treppe ca. 6 m lang herunter in den Raum hineinragen, ein zierliches, filigranes, ja äußerst ästhetisches Eigenleben. Das ist, denkt man genauer darüber nach, vielleicht aber auch gar kein Wunder, denn nur mit Hilfe von ihnen, würde der hilflose Zweibeiner wieder zu einem lebensfähigen Vierbeiner mutieren und sich weiter fortpflanzen können und so überleben.

So ist das, was Benedikt Braun mit seiner Arbeit geschaffen hat, zumindest schon Teil einer neuen Spezies, die das Gegenkonzept zum Wachstum schon in sich trägt. Hat man dieses Prinzip verinnerlicht, bleibt einem nur noch, sich von Benedikt Braun mehr solcher Hilfskonstrukte für die an sich selbst krankende Wachstumsgesellschaft von heute zu wünschen.



   
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    nichts geht mehr
2010