UFK Benedikt Braun
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KUNST, WISSENSCHAFT, TECHNIK UND GUTMENSCHENTUM – EINE NEUE EINHEIT

von Christian Finger


JACKPOT 2010

Diese Installation gräbt sich ins Gedächtnis ein – unüberhörbar, unübersehbar lockt sie an, erfreut oder verstört. Fünfzigtausend Eincentstücke werden von einem drei Meter langen Schutt-förderband auf eine Höhe von einem Meter befördert und fallen an dessen Ende auf eine Schütte aus Blech, die den Münzstrom auf ein zweites entgegenlaufendes Förderband lenkt. An dessen Ende prasseln die Münzen erneut auf eine Schütte und gelangen so wieder auf das erste Band. JACKPOT – eine Installation, die mehrere Sinne anspricht, wenn nicht sogar überfordert. Gehöhrschutz ist geboten, will man sich nicht der Gefahr dauerhafter Hörprobleme aussetzen. Das Geräusch von Kupferstücken, die in unabschätzbarer Menge unaufhörlich auf Bleche fallen, summiert sich zu terrorartigem Getöse, dem unwiderstehlichen wie auch unerträglichen Lockruf des Geldes. Neben dem ohrenbetäubenden Lärm setzt sich der Besucher einer weiteren Gefahr aus. Durch die schiere Menge an Geldstücken entsteht Abrieb in Form von feinstem Kupferstaub, der sich ohne Atemschutz in Mund- und Nasenschleimhäuten festsetzen und giftig wirken würde. Das Centstück, im einzelnen gern einmal zum Glücksbringer erklärt, erzeugt hier nun unheilvolle Nebenwirkungen.

Diese kleinste Einheit unseres Währungssystems, erlaubt es nicht, sich irgendetwas zu kaufen. Selbst wenn man sich unauffällig die ein oder andere Tasche vollstopft, wird es kaum reichen, um sich mehr als eine Bockwurst zu leisten, vorausgesetzt, man findet einen geduldigen Verkäufer. Trotzdem verschwindet Kapital aus dem Kreislauf. Ob durch Abrieb oder andere Ursachen, dem System geht auf unterschiedliche Art und Weise Material verloren – hier und dort springen einige Geldstücke aus der Bahn und so manchem (wahrscheinlich) unter Existenznöten leidenden Galeriebesucher fällt es schwer, nicht zuzugreifen. Wem kann es denn schon auffallen, dass man eine Münze mitgehen lässt oder eine ganze Hand voll?

Gier – das ist nur allzu menschliches Verhalten, nicht weiter schlimm und vom Künstler subventioniert. Im Jackpot rotieren genug Kupferlinge für alle.

Besucher oder Gast ist angesichts der gebotenen Schutzmaßnahmen nicht ganz der treffende Begriff für die Betrachter der Installation. JACKPOT ist mehr als nur zwei untereinander verbundene Förderbänder – JACKPOT ist ein Versuchsaufbau, eine psychosoziologische Studie in der der Betrachter selbst zum Beobachtungsobjekt wird. Im Hintergrund dokumentiert der Versuchsleiter (bestens als Künstler getarnt) die Reaktionen und Verhaltensweisen der Probanden, die vom Lärm betäubt und vom Fluss des Geldes fasziniert, unwissend ihre Rollen in diesem künstlerischen Experiment einnehmen.


MENSCHLICHE TAUBEN 2008 / CASH COW 2009

Brauns Studien reichen zurück bis ins Jahr 2008, als die Weltwirtschaftskrise über alles hereinbrach und Lösungen brennend gefragt waren. Damals warf Benedikt Braun im Rahmen der Performance DIE REVOLUTION BEGINNT NICHT AUF DEM MARKT als erste Soforthilfemaßnahme Kleingeld auf das Pflaster des Marktplatzes in Weimar. Einhundert Euro in Eincentstücken, somit zehntausend Münzen, brachte der Künstler so unter die Leute – wodurch er durchaus eine für die Gesamtpopulation repräsentative Stichprobe erreichte. Im Versuchsverlauf differenzierten sich signifikant zwei Gruppen von besonders eifrigen Sammlern heraus – Kinder und Rentner stürzten sich besonders sportlich auf die am Boden liegenden Almosen. Aus der Ferne betrachtet, erschienen die Probanten tatsächlich wie nach Nahrung pickende Tauben. Hatten sie eine Münze entdeckt, bückten sie sich nach dieser. In der Aufwärtsbewegung nahmen sie die nächste Münze wahr, und griffen sogleich nach ihr und so fort. Durch das Experiment wurden latente Urinstinkte aktiviert, die an der These, der Mensch stamme vom Affen ab, zweifeln lassen. Gleichzeitig wurden die Versuchspersonen unbewusst zu physischer Aktivität motiviert, was besonders den Älteren prophylaktisch gegen Rückenprobleme zu gute kommt. Als Dankeschön für die Teilnahme, durften die Probanten die von ihnen gesammelten Münzen selbstverständlich behalten.

Aus den Erkenntnissen dieses Versuchs, entwickelte Braun 2009 CASH COW.

CASH COW ist ein für den öffentlichen Raum bestimmter Automat. Der Stahlkasten zeichnet sich nicht nur dadurch aus,dass er markante Kuhhörner trägt, sondern auch minütlich einen Cent in barer Münze in eine Lade an seiner Vorderseite auswirft. So werden täglich 1440 Cent in den von der Weltwirtschaftskrise gebeutelten Finanzstrom hineingepumpt – bedingungslos, an jedermann, ohne Ansehen der Person. Nicht genug, um alles von heut auf morgen aus der Scheiße zu ziehen, aber der Automat ist auch eher als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht. Zum Beispiel kann das Centstück von der wachsenden Berufsgruppe der Flaschensammler als Glücksbringer verwendet werden, für den nächsten hoffnungsgenährten Griff in den Müll der anderen. Getreu dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“, ist die CASH COW mehr als ein Kunstwerk, sie ist ein sozialer Akt. Und mit diesem Impetus greift auch die Kritik nicht mehr, wonach Brauns weitblickende interdisziplinäre Lösungsansätze nur Tröpfchen auf dem heißen Stein seien.


   
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